„richtige und falsche Preise“
Ausweg: nicht „billig oder teuer“, sondern „richtig oder falsch“
Streit um Lebensmittelpreise
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sprach im Dezember in einem Interview von „Ramschpreisen für Lebensmittel“ — und erntete einen Shitstorm. Nicht nur vom poli-
tischen Gegner, sogar aus eigenen Reihen stieg ihm eine Welle der Empörung entge-
gen. Sofort unterstellte man ihm, er würde es darauf anlegen, mit Preissteigerungen
einkommensschwache Haushalte noch weiter zu schwächen. Erstaunlich eigentlich, denn Özdemir hatte in dem Interview mit keiner Silbe erwähnt, was er gegen die „Ramschpreise“ zu tun gedenkt. Weder forderte der Landwirtschaftsminister eine zu Lasten der Armen gehende Preissteigerung noch staatlich vorgeschriebene Lebensmittelpreise. In einem Interview mit dem RND einige Tage später ließ er durchblicken, wen er zur Bekämpfung der Ramschpreise in die Pflicht nehmen will,
nämlich die Lebensmittelkonzerne und Supermarktketten. Beim Stichwort Preiserhöhung gehen die Emotionen hoch. Das ist schlecht, denn dieses Framing — Lebensmittelpreise diskutieren heißt automatisch, „den Armen noch tiefer in die Tasche zu greifen“ — sorgt auf lange Sicht dafür, dass das Thema Lebensmittelpreise tabuisiert wird. Das darf es aber nicht. Wir müssen über Preise sprechen dürfen.
Ein Preis ist nicht „zu billig“, sondern „falsch“
„Billig“ ist in Verbindung mit Lebensmitteln kein konstruktives Wort. Besser und zielführender ist es, vom „richtigen“ und vom „falschen“ Preis zu sprechen. Der „richtige“ Preis ist ein Preis, der dafür sorgt, dass alle an der Wertschöpfungskette des Lebensmittels beteiligten Menschen und Unternehmen fair und angemessen bezahlt werden: Die Landwirte und Bäuerinnen, die Erntehelfer*innen, die Spediteure, die Großhändler*innen, die Gemüsehändler*innen und Supermärkte, die Kassierer*innen und viele andere, die mit der Erzeugung und Verarbeitung, dem Transport und Verkauf des Produkts ihr Geld verdienen. Aber mit dem „richtigen“ Preis muss noch mehr bezahlt werden. Nicht nur die Menschen und Unternehmen, sondern auch die ökologischen und klimatischen Rahmenbedingungen. Im richtigen Preis stecken auch viele Negationen: keine Überdüngung, kein Schaden für Böden, Natur und Umwelt, kein hoher CO2 Ausstoß, keine Massentierhaltung, keine Tierquälerei, kein Artensterben, kein Verpackungsmüll, keine Entsorgungsprobleme. Der richtige Preis ist gleichzeitig der faire Preis. Beim „falschen“ Preis funktioniert irgendetwas entlang der Wertschöpfungskette
nicht. Jemand wird zu schlecht bezahlt oder zahlt sogar drauf. Oder muss seinen Hof verkaufen und seinen Laden schließen. Oder das „Falsch“ geht zu Lasten von Umwelt und Klimaschutz oder sogar zu Lasten des Lebensmittels selbst, weil es eine schlechte Qualität hat oder krank macht.
„Falsch“ hat seine Ursache oft im Kapitalismus
Es gibt viele Gründe und Mechanismen, die zu „falschen Preisen“ führen. Fast alle haben ihre Ursachen in den Gesetzmäßigkeiten unseres Wirtschaftssystems. Zum Beispiel kommt ein falscher Preis zustande, wenn ein Konzern diktiert, zu welchem Preis ein Lebensmittel am Ende der Wertschöpfungskette verkauft werden „muss“. Keine Handelsstufe wird bisher vom Gesetzgeber dazu gezwungen, sich am „richtigen“ Preis zu orientieren. Es gibt auch Fälle, in denen der falsche Preis durch Subventionspolitik zustande gekommen ist. Erzeuger erhalten dann für die Produktion von Lebensmitteln vom Staat Geld, unabhängig vom erzielten Preis. Oft springt der falsche Preis auch Nichtfachleuten sofort ins Auge. Wenn ein Kilo Bananen unter einem Euro kostet und da-
mit nur halb so teuer ist wie regionales Obst, wenn ein Kilo Schweinefleisch für
77 Cent verramscht wird — dann kann was nicht stimmen.
Was ist „richtig“ und was ist „falsch“?
Den richtigen vom falschen Preis unterscheiden — zu kompliziert für den Verbrau-
cher? Einerseits kostet es viel Zeit, Arbeit und Fachwissen, die technischen, sozialen
und ökologischen Produktionsbedingungen eines Lebensmittels zu recherchieren. An-
dererseits ist der richtige Preis kein Geheimnis, er lässt sich transparent machen.
Wieviel muss ein Liter Milch kosten, wenn die Kühe ein gutes Leben haben und die
Landwirte fair bezahlt werden? Wieviel ein Ei, ein Kilo Kartoffeln, eine Kiste Bananen?
Von wo nach wo ist was transportiert worden? Es ist nicht ganz einfach, aber man kann das ausrechnen. In vielen Fällen ist es schon ausgerechnet worden und irgendwo einsehbar: etwa auf den Internetseiten von Erzeugern und Produzenten, die sich dem
„richtigen“, dem fairen Preis verpflichtet fühlen und denen es am Herzen liegt, ihn
transparent zu machen.
Eine Abkürzung führt in den Bioladen
Verbraucher*innen, denen die Suche nach solchen Lebensmitteln zu kompliziert ist,
können eine Abkürzung zum richtigen Preis nehmen. Sie können dort einkaufen, wo sie begründetes Vertrauen in die Vorauswahl haben, die eine Fachhändlerin oder ein Fachhändler für sie getroffen hat. Inhabergeführte Biovermarkter*innen bilden — mitten in unserem kapitalistisch geprägten Wirtschaftssystem — oft Nischen der Transparenz und der Fairness. Denn die meisten von ihnen treibt mehr an als der Wunsch, Geld zu verdienen. Viele haben ihre ideellen Wurzeln in der Öko-Bewegung. Sie wollen dazu beitragen, dass unsere Welt zukunftsfähig bleibt. Sie helfen dabei, regionale und dezentrale Strukturen zu unterstützen, sie wollen anders wirtschaften als der ausschließlich profitorientierte Lebensmittelhandel. Hundert Prozent Verlass auf den „richtigen“ Preis ist im Bioladen zwar nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass dort im Preis auch die sozialen und ökologischen Kosten stecken, ist deutlich größer als in jedem Supermarktjedem Supermarkt.
Text; Heike Hoppe, Redakteurin
und Geschäftsführerin der Fair-Bio eG